Schon mal Guerilla Gardening gehört?
Ihre Waffen sind Schaufel, Harke und Samenbomben; Ziele sind trostlose, öde Großstadtecken. Diese werden dank der Aktionen der Guerilla-Gärtner über Nacht plötzlich grüner und bunter.



Bunte Inseln sorgen für Überraschungen
Hatten Sie auch schon mal dieses „Huch, wo kommt denn das plötzlich her“-Erlebnis? Sie steigen morgens wie gewohnt aus der U-Bahn, folgen den Treppen bis zur Straße, und plötzlich sehen Sie es: eine kleine bunte Gruppe von Balkonblümchen; knallrote Geranien, eine etwas verfrühte orangefarbene Dahlie, leuchtend weiße Margeriten und sogar eine Tomatenpflanze ist dabei; sie alle tummeln sich auf dem kleinen Fleckchen Erde rings um den Straßenbaum, wo sonst nur Zigaretten-Kippen landen, Hunde aus der Nachbarschaft ermitteln oder übernächtigte Partygänger ihr letztes Bier abstellen; und nun ist dort, wenn auch bescheiden, eine kleine blühende Landschaft entstanden. Oder am U-Bahn-Tunnel, kurz bevor der Zug im Dunklen verschwindet, sich Plastikmüll im Sog des Luftzugs hebt und wieder zu Boden sinkt, winkt Ihnen plötzlich eine Sonnenblume. Und an der Stelle im Viertel um die Ecke, wo die Gehwegplatten gespickt mit alten Kaugummiflecken fast nahtlos übergehen in eine aschgraue Sichtschutzwand, die wiederum gekrönt ist von Stacheldrahtreihen, windet sich seit ein paar Tagen Kapuzinerkresse und schiebt fröhlich Blüten. Wenn solche abweisenden, tristen und öden Ecken einer Großstadt über Nacht plötzlich grüner, bunter und schöner geworden sind, dann waren da bestimmt keine Heinzelmännchen oder Gartenzwerge am Werk, auch nicht die Nachtschicht der Landschaftsgärtner des Bezirks-Betriebshofs, sondern Aktivisten der „Guerilla Gardening“-Bewegung.
Am Anfang waren die Green Guerillas
Ursprünglich war das nächtliche Einbuddeln von Pflanzen oder das Werfen von Saatbomben an unzugängliche Stellen Ausdruck des zivilen Ungehorsams im öffentlichen Raum – sozusagen ein außergewöhnliches Mittel des politischen Protests. Inzwischen stoßen die heimlichen „Überraschungspflanzungen“ des Guerilla Gardenings auch auf viel Zuspruch seitens „harmloser“ Stadtbewohner. Die Fangemeinde ist bunt gemixt, von Jung bis Alt. Fragt man nach den Ursprüngen der Garten-Guerilla, was übersetzt „kleine Armee“ bedeutet, dann muss man zurück ins Jahr 1973 gehen, und zwar nach New York. Dort gründete die Künstlerin Liz Christy die Gruppe „Green Guerillas“. Zusammen mit Freunden, Nachbarn und Freiwilligen befreiten sie mitten in New York ein brachliegendes Gelände von Müll und Schutt und legten dort einen Gemeinschaftsgarten an. Das war der Beginn der Guerilla-Garten-Bewegung. In Europa wurde man auf die grünen Kämpfer am 1. Mai 2000 in London aufmerksam. Umweltaktivisten, Globalisierungsgegner und Überzeugungstäter pflügten kurzerhand eine Rasenfläche auf dem Parliament Square um und bepflanzten diese, um „die Straßen zurückzuerobern“.
Initiativen ergreifen!
Heute gibt es in vielen größeren Städten entsprechende Initiativen, die weiterhin heimlich und unerlaubt das Stadtbild verschönern. In Berlin sind es „die Gartenpiraten“, im Süden der Republik agieren „Guerilla Gärtner München“, und auch im Norden ist man nicht tatenlos: mit der Gruppe „Guerilla Gardening
Hamburg“ oder Aktionen wie etwa im Frühjahr 2011, als ein Hamburger Facebook-Nutzer bundesweit zu den „Sunflower Guerilla Days“ aufrief, in ihrer Stadt Blumen zu säen. Übers Internet in sozialen Netzwerken verabreden sich weltweit interessierte Hobbygärtner zu nicht legalen Pflanzaktionen. Was ambitionierte Guerilla-Gärtner natürlich nicht davon abhält, auch mal ohne gruppendynamische Verabredung im Netz allein loszuziehen und eine Verkehrsinsel von Aschgrau in bunt zu verwandeln. Manche Initiativen haben auch den Sprung aus der Illegalität geschafft. So verschönerten „Blütentraum-Aktivisten“ aus Hamburg vor einigen Jahren in Absprache mit den Bezirksämtern und dem Gartenbauamt die Kreuzung am U-Bahnhof Schlump und erhielten dafür eine Auszeichnung der Körber-Stiftung. Der neue Trend solcher Pflanz-Engagements oder zu Beet-Patenschaften vor der eigenen Haustür werden von der Stadt sogar ausdrücklich begrüßt. Kein Wunder – in Zeiten, in denen die öffentlichen Kassen praktisch leer sind, überlässt man den privaten „Grünfingern“ mit der Liebe zur bunten Blumenpracht gern das „Feld“.
Gemeinsam Gärtnern in der Stadt
Der Kampf der Guerilla-Gärtner gegen trostlose Flächen in der Stadt treibt inzwischen neue Blüten; das Ganze hat sich als Bewegung weiterentwickelt: zum urbanen Gärtnern. Inzwischen leben viele junge Städter ihren Wunsch nach Selbstversorgung, der eigenen Ernte im Kollektiv der Stadtteilbewohner; Urbanität als erlebenswerte und bewusste Umwelt. Und so werden Parkdecks zum mobilen Gemüsegarten, Brachflächen in ökologische Nutzgärten verwandelt und so mancher Guerilla-Garten zum sozialen Gemeinschaftsgarten. Auch dafür gibt es viele tolle Beispiele in Deutschlands größeren Städten: das Gartendeck in Hamburg, die Prinzessinnengärten und der Nachbarschaftsgarten „Ton, Steine, Gärten“ am Mariannenplatz, beide sind in Berlin-Kreuzberg, oder wie man in Bayern sagt: „o’pflanzt is!“ – so lautet das Motto eines noch jungen Gemeinschaftsgartens in München.
Samenbomben-Grundrezept – Zutaten für 6 Samenbomben:
5 EL Erde
4 EL Tonpulver (auch als Ton- oder
Lehmmehl im Natur-Baustoffhandel)
1 EL kleine Samen (große Samen 2 EL)
1 TL Chilipulver
4 TL Wasser
TIPP: Am besten lässt sich lehmige Erde verarbeiten; die klebt von Natur aus gut. Sie fragen sich, wieso Chili oder Cayenne-pfeffer? Das hält gefräßige Ameisen ab. Sie lieben die Nährkörper der Samen.
(aus dem Buch: „Mit Samenbomben die Welt verändern“ von Josie Jeffery)
Wer hat’s erfunden?
Samenbomben haben in Japan eine lange Tradition. Den Gärtnertrick griff übrigens der Japaner Masanobu Fukuoka (1913â_x0080__x008a_–â_x0080__x008a_2008) von seinen Vorfahren auf. Mit der altbewährten Methode des „Erdkloßes“ war der Mikrobiologe und Landwirt bereits 1938, und damit lange vor uns, Wegbereiter des natürlichen Anbaus und einer nachhaltigen Landwirtschaft.